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21.12.22

Erinnerung an alte Zeiten

Du sitzt auf einem Stuhl aus Holz und Leder. 

In deinen Händen verarbeitest du den Wollgarn deiner Nachbarin mittels Nadelbinden zu neuen Socken, um deine Füsse in dieser kalten Zeit warm zu halten.


Du verlierst dich einen Augenblick im flackernden Feuer, welches dir wärme und Licht schenkt. 

In diesen Tagen bist du umgeben von Dunkelheit, Nässe und Kälte, weshalb du dein Feuer sehr zu schätzen weisst, und es mit Ehrfurcht und Dankbarkeit bewunderst. Die Flammen schlängeln sich um den runden Kupfertopf, in welchem der Eintopf für das heutige Abendmahl schmort. Du hast Glück, denn im Herbst konntest du eine reiche Ernte im Keller lagern, sodass du heute eine nahrhafte Mahlzeit mit Wurzelgemüse, Kohl, vielen getrockneten Kräutern, und sogar ein feines Brot mit deinen Liebsten teilen kannst.


Plötzlich löst sich dein Blick vom Feuer! Du erinnerst dich, du wolltest heute noch einige Zweige sammeln gehen. 

Den Garn zur Seite gelegt und den Topf etwas höher gehängt, noch kurz das Feuer etwas zusammengebüschelt und ein neues Stück Holz drauf gelegt, wickelst du dir einen Schaal mehr um den Hals, greifst nach dem Korb, der dir deine Schwester schenkte, und verlässt dein Haus. 


Auf deinem Weg durch die hohen, mit Schnee bedeckten Bäume, gehst du achtsam und vorsichtig.

Alles ist ruhig und schläft, so passt auch du dich der Natur an. 

Im Schnee kannst du den Spuren entnehmen, welchen Weg die Eichhörnchen gehen, wo die Rehe ihr Futter suchen und in welchem Bau der Fuchs schläft.


Von deinem inneren Kompass gesteuert, spazierst du durch diesen verzaubert wirkenden Wald, bis du plötzlich eine vor kurzem gefallene Fichte vor dir siehst. Mit etwas Wehmut siehst du sie da liegen, wie eine im Krieg gefallene Heldin darf sie nun unter der Schneedecke ruhen. Viele kleine Wesen haben sie bereits dankbar empfangen, um darin Schutz und Nahrung zu finden. 

So kommst auch du ihr näher, berührst sie erst sanft, und bedankst dich für ihre Gabe; einige schöne Tannenzweige schneidest du mit der Sichel ab und etwas Harz von einer Wundstelle wickelst du in ein braunes Eichenblatt vom Boden, das noch nicht zersetzt wurde.


Da sich die Kälte schon langsam spürbar macht, gehst du auf dem Heimweg ein wenig zügiger,  sodass du beinahe die im Schnee steckende Elsterfeder übersehen hättest. Freudig und dankbar nimmst du auch diesen Schatz mit nach Hause, wo dich bereits deine Familie erwartet. 

Ein gemischter Duft von schmelzendem Bienenwachs, brennendem Eichenholz, kochendem Eintopf und frischem Brot steigt dir in die Nase und erwärmt dein Herz. 


Mit Freude und Gelassenheit schmückst du den Hauseingang und den Tisch mit den gesammelten Zweigen, Kerzen, einem roten Band und dem Julbock. 

Das Harz legst du auf ein Stück Kohle aus dem Feuer, worauf dieses gleich beginnt zu schmelzen und den Raum mit angenehmen, feinem Fichtenrauch bereichert. 


Du schliesst die Augen, und geniesst den Moment. 


Du kannst spüren, wie deine Sorgen und Trauer einer wohlwollenden Wärme weichen, welche sich aus deinem innersten verbreitet. 


Du überlegst, was du dieses Jahr alles erreicht hast, und was du für's nächste Jahr mitnehmen kannst, wo du dich noch weiter verbessern möchtest, und wie du dein Leben noch mehr geniessen kannst. 


Der Winter wird noch lange gehen, es ist ein besonders kalter Winter, aber wir alle wissen, dass er früher oder später dem Licht der Sonne weichen wird. Es wird von Tag zu Tag langsam aber stetig wachsen, bis es uns einen neuen Sommer schenken wird. Dieses Licht gibt uns Zuversicht und Hoffnung, deswegen feiern wir, heute wie jedes Jahr, die Wiedergeburt des Lichtes. 


Möge es wachsen und gedeihen, um die Kälte und Dunkelheit zu besiegen, und uns die Wunder des Lebens zu schenken.

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